Mit Tusche und Feder
- Über die Grafiken Zbigniew Przadkas -
Der Versuch einer Interpretation
Da war am Anfang der Buchstabe.
Er bereits im Kopf, als er zu sprechen begann und ein Eigenleben entwickelte. Er zappelte. Er nahm Formen ein. Er eroberte den Raum.
Den Grafiker Zbigniew Przadka fasziniert die Sprache der Zeichen. Seine Grafiken aus Feder und Tusche visualisieren das geschriebene Wort.
So bekommt jeder Textteil eine eigene Geschichte. So, als ob passiere so viel Unsichtbares dazwischen, was man in eine Form giessen müsse,
um ein Universum an Handlungsmöglichkeiten entstehen zu lassen.
Geschriebener oder gedruckter Text inspiriert den Künstler über das Lesen hinaus. Und indem er das geschriebene Wort sichtbar macht, erweckt er es zum Leben. Die Schrift wird personalisiert. Buchstaben werden zu Menschen.
Satzzeichen, Buchstaben oder komplette Textpassagen sieht der aus Polen stammende Künstler als menschliche Figuren.
Wie in der Literatur, die das Leben erzählt, erhalten Satzzeichen einen Körper und erlernen Gesten.
Sie bekommen einen eigenen Duktus. Sie entwickeln Persönlichkeiten.
Zbigniew Przadkas große Leidenschaft ist seit jeher die Literatur: Schräge, zerworfene, grotesk-komische, düstere Charaktere wie aus Dostojewski´s Welt geworfen in die Tiefen des Daseins. Oder grotesk-melancholisch anmutende Lebens- und Überlebenskünstler auf der Oberfläche der scheinbar unspektakulären Alltäglichkeit. Ein Dasein zwischen Schwarz und Weiß... Aber auch unzählige Fragmente und Schattierungen dazwischen.
Den kleinen Eigenheiten der Spezies Mensch wird nachgegangen. Ohne Deutung und Verurteilung. So wird Spannung erzeugt.
Der Charme dieser Bilder liegt im Aufzeigen ohne zu Kommentieren. Im Hervorheben ohne Zynismus.
Der Künstler als Sympathisant der Komischen, der Zerworfenen, der Verscheuchten, der Lächerlichen. Das Groteske ist nicht marode. Es bleibt menschlich.
Die zweite große Leidenschaft Künstlers gilt der Musik der sechziger und der siebziger Jahre, allem voran: den Beatles.
Die hier entstandenen und entstehenden Figuren wirken klar und heiter. Coole, lässige Typen, Großstadt-Desperados mit einem Hauch von Boheme.
Schlendernd, pfeifend, singend, sinnend. Die Figuren scheinen aus ihrer Zeit einen Weg zu uns zu finden.
Lässig dahinschwingend aufgezeichnet, genau im Moment erfasst summen sie die vertrauten Klänge. Sie sind in Bewegung, im Rhythmus.
Der Strich bleibt präzise, stark.
Przadkas Hauptgebiet ist die Grafik.
Aus diesem Interesse heraus entstehen die grafischen Interpretationen der Menschen. Hier kommt der "Buchstabe-Mensch" zur Geltung.
Und der "gesungene" Charakter. Mensch und Menschen in Rheien, aus den Rheien fallend, spazierend, hängend.
Seine Grafik entsteht in Acryl, Feder oder Tusche. In allen Schattierungen des "bunten" Grau. Manchmal umhüllt ein Schleier vom ruhigen Blau oder stillem Ocragelb die Platten. Konzentriert sind sie jedoch um die Schwarz-Weiß-Grau Thematik. So stechen sie hervor.
Mit der Zeit bekommt auch die Landschaft eine eigene zeichnerische Deffinition.
Die Bilder hier sind weit ausgelegt, ruhig, sehr präzise, ungewöhnlich ausgeschnitten. Gezeichnet nicht in und von Natur, Sondern als schwache Erinnerungen an den Blick durch das Fenster vom gestrigen Tag. Eine Atmosphäre bleibt erhalten.
Der Natur wird in Ruhe Betrachtung geschenkt. In der Momentaufnahme erzeugt sie ihre Wirkung. Klumpen Erde, Feldformen, Scheunenteile, Wege, ein Baum. Man riecht förmlich den schweren Geruch der Erde. Und die Nässe des Himmels.
Diese Grafiken wirken schwer, aufgewühlt und voll. Da sie eher kleinformatig sind, darf man ruhig ziemlich nahe an sie herantreten. Als zögen Einen an, in ihren Bann. Und man könne kaum dem Versuch widerstehen, sie anzufassen: fett und ölig sind sie. Und berühre man sie mit dem Finger, täste man sie mit dem Auge, blieben sie an Einem kleben.
Das macht ihre Anziehungskraft aus.
Und auch hier kommt dem Thema "Mensch" eine Bedeutung zu: Sei es als kaum sichtbarer Anhaltspunkt am Horizont oder als Betrachter selbst.
Zbigniew Przadka arbeitet gerne im Schatten der Nacht.
Abends, nach einem gemütlichen Glas Rotwein, wenn die Ruhe und die Stimmung kommen. In seinem Atelier verbringt er die Nachtstunden
und arbeitet die Zeit vergessend nicht selten bis zum Morgengrauen. So entstehen die Platten und die Bilder.
Aus dem Dunkel der Nacht heraufgeholt und ihre Kraft schöpfend, strahlen sie ihre Stärke und Eindeutigkeit aus. Schwarz auf Weiß zum Anfassen.
Die Nacht gibt ihre Konturen frei.
Przadkas neueste Grafiken greifen die Miniaturform der Briefmarkenkunst auf. Silhouetten von Menschen. Von Tieren und Gegenständen, in zufälligen Begegnungen und unscheinbaren Zuständigkeiten. Gegenstände, Muster, Lebenwesen in Schnappschüssen, Fragmenten, Ausschnitten.
Eine Kunst, die - im Großformat gesehen - sehr an die große polnische Plakatkunst der 70er Jahre erinnert.
Der Künstler hat seine Werkstatt im Griff.
Er experimentiert auch mit Collage, Zeichnung und Acryl. Jeder Erscheinung seine eigene, exzellente Note verleihend.
Wie ist der Mensch in Przadkas Welt?
Ist er frei? Oder bewegt er sich von Grenze zu Grenze?
Solche Fragen zu beantworten ist natürlich schwer und unmöglich.
- Genauso unmöglich, wie das "Sich-Löslösen" von den anziehungsstarken und magnetischen Grafiken Zbigniew Przadkas.
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